Da stand ich nun, in der Abendsonne, direkt unter der Weltkugel am Nordkap, die den nördlichsten Punkt Europas vom Festland markiert. 71° 10′ 21″ nördlicher Breite. Mein Blick schweifte weit über das raue Nordpolarmeer hinweg, die Gicht glitzerte golden und der Wind blies mir entgegen.
Zu diesem Zeitpunkt ahnte noch keiner von uns beiden das das Nordkap sich zum größten Albtraum unserer bisherigen Reise entpuppen würde...
Aber ich erzähle euch mal besser von Anfang an was sich da eigentlich alles zugetragen hat.
Rückblick:
Nach ein paar Tagen in schwedisch Lappland hatten wir uns dann tatsächlich wieder mit Norwegen "versöhnt", wir freuten uns wahnsinnig darauf nun ans Nordkap zu fahren.
In Honningsvåg, so ca. 30 km vor dem Nordkap, deckten wir uns nochmal mit Lebensmitteln und dem ganzen Kram ein, war ja auch echt ratsam, danach gab es ja schließlich keine Einkaufsmöglichkeiten mehr. Für mehrere Tage kauften wir ein, wir hatten nämlich noch was viel besseres vor als nur unter der Weltkugel zu stehen...
Wir stiegen ein, starteten Mr. Blue und machten uns auf den Weg, Richtung Nordkap.
on the way...
und da war sie wieder, diese wunderschöne Fjell Landschaft, die baumlose Bergtundra, die wir mittlerweile so liebten...
Langsam schlängelten wir uns, immer der Straße folgend, durch diese traumhafte arktische Natur und genossen wirklich jeden verdammten einzelnen Augenblick davon.
Wir fuhren an kleineren und größeren Seen vorbei, beobachteten Rentierherden während sie friedlich grasten oder über das Fjell zogen. Manchmal in weiter Ferne, das andere Mal keine 30 Meter vom Straßenrand entfernt...
Blauer Himmel, die leicht hügelige Tundra in diesen schönen grün- u. braun Tönen zu dieser Jahreszeit, die sich karg und öde unendlich vor uns erstreckte. Und dann noch diese unzähligen Rene mit ihren teils mächtigen Geweihen, wow was für ein unvergesslicher Anblick...
der letzte samische Außenposten vorm Kap, leider geschlossen und somit kein Rentiereintopf heute für uns...
Und dann waren wir tatsächlich irgendwann am Nordkap auch angekommen... Im äußersten Norden der Finnmark auf der Insel Magerøya. Der riesige Felsen mit der gigantischen Weltkugel ragte vor uns auf, 300 Meter hoch über dem Nordpolarmeer.
WILLKOMMEN AM NORDKAP
Normalerweise ist der Felsen oft in Nebel gehüllt und die Sonne bricht nur selten durch die dichte Wolkendecke, Traumwetter nennt man das was wir heute haben...
Wir schauen uns noch die Skulptur "Mutter mit Kind" an, die für all die Frauen auf dieser Welt steht, die täglich auf die Rückkehr ihrer Männer warten, der Rückkehr aus der tosenden See...
Die sieben runden Tafeln im Hintergrund sind das Ergebnis von Kindern, aus Tansania, Brasilien, USA, Japan, Thailand, Italien und aus Russland. Die Skulptur heißt "Children of the World", die sieben Kinder blieben dort sieben Tage um vom "Frieden auf Erden" zu träumen... Jede Skulptur ist erschaffen durch die Träume der einzelnen Kinder...
Ein wirklich schönes Monument an diesem Ort wie ich finde...
Wir gingen zurück zu Mr. Blue, aßen zu Abend, tranken Tee und machten es uns erst einmal etwas gemütlich...
Als der Sonnenuntergang sich ankündigte liefen wir zurück zur Weltkugel und knipsen ein paar Erinnerungsfotos...
Dann standen wir eng umschlungen an der Absperrung zur Steilwand und schauten der untergehenden Sonne zu als sie langsam in der Barentssee versank. Es schien als ob sie ihr schönstes goldenes Abendkleid nur für uns sogar heute übergestreift hätte...
Wir schauten uns an und waren unglaublich glücklich in diesem Moment. Wir blickten auf Knivskjellodden, die Landzunge die sich flach ins Meer hinaus schiebt und die schon die ganze Zeit in unserem Blickfeld lag. Knapp 4,2 km Luftlinie von uns nur entfernt Richtung Westen. 71° 11' 08" nördlicher Breite und somit noch 1.400 Meter nördlicher als unser jetziger Standpunkt.
Wahrscheinlich lächelte wir, den wir wussten beide nur zu gut das es unser eigentliches Ziel war, warum wir wieder zurück nach Norwegen gekommen waren. Wir wollten zusammen am geografisch korrekten nördlichsten Punkt des europäischen Festlandes sein, am richtigen Nordkap, nicht nur dem touristischen mit der Weltkugel...
Dort draussen auf der Landzunge wollten wir zusammen sitzen und auf das raue Nordpolarmeer gemeinsam schauen... Unser Abschiedsgeschenk von Norwegen...
Wir wussten nur zu gut, das von den 200.000 Besuchern die es jährlich hierher zieht, nur ein minimaler Bruchteil sich zu dieser Landzunge aufmacht. Das ist ein 18 km langer Hike insgesamt, recht beschwerlich und nur an "guten" Tagen zudem realisierbar. Das ist eindeutig kein Hotspot für Leute, die nur mal schnell ein Foto wegen irgendwelchen "Daumen hoch Likes" machen wollen und schnell hier vorbeikommen...
Da es auf dem riesigen Parkplatz erlaubt ist zu campen, pennen wir die Nacht einfach hier, den der Wanderparkplatz 5 km weiter ist wieder einmal besetzt mit irgendwelchen Idioten die denken hier auf dem offiziellen Parkplatz müsste man Geld dafür bezahlen...
Morgens checken wir wieder kurz die aktuellen Wetterdaten, scheiße die nächsten 2 Tage ist Regen angesagt und Wind. Keine Option für uns unser Vorhaben zu realisieren. Wir beratschlagen uns kurz und beschließen kurzerhand einfach ein paar andere Sehenswürdigkeiten anzuschauen bis das Wetter wieder besser wird...
Wir trinken in Mr. Blue unseren Kaffee und es regnet draußen kontinuierlich, der Wind frischt auf und der Splitt vom Parkplatz fliegt leicht durch die Gegend. Wir haben keine Lust nass zu werden und verräumen alles wieder von vorne nach hinten während wir drinnen im trockenen sind. Wir klettern nach vorne und wollen gerade losfahren...
Dann gibt es eine einen lauten Knall, wir schauen uns an und drehen unsere Köpfe nach hinten. Fuck das sieht aus als ob es eine der beiden hinteren Heckscheiben zertrümmert hat. Das Sicherheitsglas ist in tausende kleine Stücke gesprungen, wird wahrscheinlich nur noch durch die Folie zusammengehalten. Wir sind echt am kotzen, beschließen aber kurzerhand: Glück im Unglück, die Frontscheibe wäre ein echtes Problem...
Friedi muss aufs Klo, wir fahren die paar Meter zu den Toiletten vor, ich sehe noch aus den Augenwinkeln wie er aussteigt, die Fahrertür zumacht und die 2 - 3 Meter Richtung Klo geht. Nichts komisches oder außergewöhnliches, alles im "grünen" Bereich...
Ich recherchiere irgendetwas wegen Sightseeings in der Nähe. Irgendwann beschließe ich das es vielleicht auch ne gute Idee ist den ganzen Kaffee lieber hier zu lassen. Ich öffne die Tür und dann geht es los:
Inferno küsst Super-Gau
mit meiner Hand am Türgriff werde ich binnen Sekunden nach draußen gerissen, ich weiß bis heute noch nicht wie ich das eigentlich hinbekommen habe dabei nicht zu stürzen. Ich stehe draußen, vielmehr ich versuche mich irgendwie auf den Beinen zu halten, meine Hände klammern sich beide um die Beifahrertür und ich denke es handelt sich um irgendeine richtig heftige Windböe. Aber es hört einfach nicht auf an mir und an der Tür wie irre rumzureissen. Dann höre ich dieses schreckliche Geräusch das ich nie wieder vergessen werde, ein Ruck geht durch meinen Körper und ich weiss genau was passiert ist, das soeben beide Scharniere der Tür angerissen sind, die Tür ist auch plötzlich unnatürlich weit geöffnet.
Schlagartig wird mir bewusst das das keine einzelne Windböe ist, das ist ein Sturm, ein Orkan oder weiß der Teufel für eine Scheiße in der ich mich da gerade befinde... Mein Kapuzenpulli der eine Nr. zu groß ist und auch nur zur Hälfte zugezogen ist, wird mir immer wieder über den Kopf gezerrt und ich kann dann überhaupt nichts mehr sehen, rein gar nichts...
Ich überlege kurz ob ich mich vielleicht hinter die Tür irgendwie stellen kann, um mit meinem Gewicht dieses verdammte Ding irgendwie zuzudrücken. Ich werfe aber gleich wieder diesen genialen Plan über Bord, wenn die Scharniere kpl. abreißen, dann werde ich garantiert mit der Tür durch die Gegend geschleudert und im schlimmsten Fall dann richtig schwer noch davon verletzt.
Plötzlich nehme ich irgendwelche Bewegungen war in der Nähe der Toiletten, die nur 3 - 4 Meter weiter sind. Ich brülle mir fast die Seele aus dem Leib so laut ich nur kann gegen diesen wahnsinnigen Sturm der um mich tobt: HELP ME, PLEASE HELP ME... Ich sehe wieder nichts mehr, der Pulli flattert über meinem Kopf, ich schreie immer weiter bis ich nicht mehr kann, aber nichts passiert...
Irgendwann nehme ich eine weitere Bewegung wahr, ich schreie erneut gegen den Wind an. nichts, niemand kommt mir zu Hilfe...
Ich weiß nicht wie lange ich mittlerweile versuche krampfhaft dieses Mistding festzuhalten. Sind es Minuten? Mir kommt es wie Stunden vor... Nicht nur meine Finger schmerzen wie irre, meinen Armen geht es nicht besser. So muss es sich wohl anfühlen wenn man auf einer Streckbank gefoltert wird denke ich noch. Ich weiß nur noch eins: wenn Friedi nicht bald zurück ist dann haben wir wohl eine Tür weniger...
Plötzlich sehe ich Friedi, ich beginne wieder zu schreien, er setzt sich ins Auto und kurz darauf starrt er mich entsetzt an. Er hüpft wieder raus und eilt ums Auto... Ich traue mich nicht die Tür loszulassen, habe Angst das er dann verletzt wird. Er stellt sich dahinter und irgendwie schaffen wir es dann zusammen sie irgendwie zuzudrücken...
Friedi will die Tür wieder öffnen das ich mich reinsetzen kann, ich schüttelte immer wieder meinen Kopf und stammle ein nein vor mich hin...
Er legt seinen Arm um mich und zieht mich an eine Windgeschütze Stelle an der Rückseite der Toiletten... Ich lehne mich an die Wand und rutsche nach unten bis ich fast sitze. Ich versuche mich etwas zu beruhigen, mein ganzer Körper zittert wie doof und ich frage mich ernsthaft ob ich unter Schock stehe, ich stammle ständig weiter vor mich hin das ich nicht über die Beifahrertür wieder einsteigen werde. Ich habe weiterhin wahnsinnige Angst das Friedi etwas passiert wenn er alleine versucht sie wieder zuzumachen.
Nach ein paar Minuten hab ich mich halbwegs wieder im Griff, wir gehen zurück zu Mr. Blue, er öffnet die Fahrertür und ich setze mich rein, dann klettere ich rüber zum Beifahrersitz. Friedi steigt ein und schließt fast ohne Probleme seine Tür die glücklicherweise im Windschatten liegt, ich sitz daneben und kann es irgendwie nicht glauben was da gerade abging...
dann erzähl mir Friedi plötzlich was ihm alles passiert ist...
er steigt aus, spürt den heftigen Wind, aber das kennen wir ja schon von vielen Orten wo wir schon waren. Etwas die Tür fest halten, das passt schon...
Er steigt die 5 - 6 Treppen hoch zur Tür vom Klo, rechts und links keine Haltegriffe kein Geländer, also keine Sicherung...
Er drückt die Türschlinge nach unten, dann fliegt die verdammte Tür nach außen auf. Sein Arm ist plötzlich zwischen der Tür und der Klohütte eingeklemmt und es tut weh, verdammt weh.
Die "Insassen" von der Toilette, die aus hilflosen Radfahren bestehen, und sich hierher geflüchtet haben, helfen ihm dann mit vereinten Kräften sie wieder zu schließen...
Ob er jetzt noch pissen will weiß er beim besten Willen nicht, tut es aber trotzdem... Als er sich wieder aus dem Klo begibt, kommt ein weiter Typ rein, die Tür knallt sowas von brutal von außen an die Wand das der Papierspender auffliegt und der ganze Inhalt durch die Gegend fliegt...
Alle helfen wieder gemeinsam in geballter Ladung Herr der Lage zu werden und sind geschockt... Friedi will raus und gemeinsam schaffen sie es das sie nicht wieder mit voller Wucht an die Wand knallt...
Dann geht er zu Blue, setzt sich rein. Denn Rest kennt ihr ja...
Ich bin jetzt richtig getollschockt und Friedi soll mir seinen Arm zeigen... Ein riesiger Fleck ziert seinen Unterarm der in diesem Stadium sogar schon alle blau, grün und braun Töne hat obwohl es erst paar Minuten her ist...
Ich frage gleich nach den Schmerzen, mehrmals sogar... Gebrochen ist wohl zum Glück nichts...
Jetzt wird es mir fast schlecht, ich denke an die Kinder die gestern noch alleine aufs Klo gingen. Ja, ab einem bestimmten Alter ist das eben so, da gehen die lieber alleine... Ich seh "Fliegengewichte" zerquetscht zwischen der Tür und der Klowand vor meinem inneren Auge... what a fuck !!! Das kann ein kleines menschliches Leben auslöschen...
Wir wollen nur noch eins: weg von diesem ARSCHLOCHKAP und weg von Norwegen !!!
Wir fahren wieder zurück Richtung Honningsvåg und die Fjell Landschaft wirkt nur noch rau, brutal und feindlich, da ist nichts mehr von dieser Schönheit die uns vorher so gefiel... Der Sturm peitscht Meter hohe Wellen entlang der Seen in den Himmel... Am liebsten würde ich laut losheulen, mir geht es richtig scheiße...
Ich sitze im Auto und friere erbärmlich, bin durchgeweicht vom Regen und es zieht wie irre durch die Tür die nicht mehr richtig schließt... Ich glaube so kacke hab ich mich selten in meinem Leben gefühlt...
In Honningsvåg legen wir am Supermarkt einen kurzen Stop ein. Resümee: beide Scharniere tatsächlich an der Schweißnaht schwer angerissen, zusätzlich hat es noch den "Türstopper" der an der Karosserie angeschweißt ist und mit dem Blech von der Tür verbunden ist, damit sie nur in einem bestimmten Winkel zu öffnen ist, zerlegt...
Ein der Heckscheiben ist tatsächlich zertrümmert...
Aber das wichtigste: uns ist nichts passiert, auch wenn uns jetzt schon klar ist das es Tage, Wochen oder sogar Monate dauert bis diese Schäden wieder behoben sind !!!
Ich hasse das Arschlochkap, es hat meinen Mann verletzt und unser Zuhause schwer beschädigt !!!
tja, jetzt ist erst einmal Mr. Blue ordentlich "verarztet"
Fakt ist: definitiv wollen wir nicht das alles immer chirurgisch korrekt verläuft, warum auch? Ganz ehrlich, das wäre uns eh viel zu langweilig. Aber auf so eine verdammte Scheiße können wir echt gerne verzichten !!!
sooooo das war es dann mal wieder für heute
recht schöne Grüße vom Arschlochkap !!!
see you soon
Grüße Manuela & Friedi
Travel-Experience (Freitag, 07 April 2023 19:00)
@Carola... Türstopper ist immer noch abgerissen und weiterhin geht sie unnatürlich weit auf und würde sich mim Kotflügel verkeilen... aber bin ja schon happy das ich wieder ein- u. aussteigen kann und nicht mehr über den Fahrersitz ständig klettern muss... Das wichtigste war das uns nichts schlimmes passiert ist... Grüße auch ganz lieb Dad von uns.... see you...
Carola (Freitag, 07 April 2023 16:44)
Traumwetter und Mega Sonnenuntergang und ab ins Bett wahrscheinlich nicht gleich einschlafen können bei solch einem Wetterglück und Vorfreude auf den nächsten Tag., Der Alptraum kam nicht in der Nacht sondern am nächsten Morgen. Was für eine Naturgewalt hat Euch da überrollt, hatte beim Lesen Gänsehaut. Und dann hat es Euch alle getroffen Friedi, Manuela und Mr. Blue. Aber Fortuna war auf Eurer Seite keine bleibende Schäden, die nicht repariert/verheilen. Wünsche Euch weiterhin so viel Glück und passt auf Euch auf.